Wichtigstes Element unseres Kreises ist das Bezeugen.
Bezeugen ist zuhören, anerkennen, stehen lassen und in unserem Fall eine Geste der Rückmeldung geben. Ein „ich habe dich gehört.“, „ich habe deine Wahrheit gehört“.
Es ist wunderschön einfach und trotzdem voller Tiefe, die es sich zu betrachten lohnt.
Wir können im Bezeugen auch die Verbindung spüren. Wir können die Vielfältigkeit erleben und die Gemeinsamkeiten. Und so geht es:
Wir drehen unsere Selbstbetrachtung und ich-Gedanken und Bewertungen auf stumm und hören einfach zu.
Wir müssen nichts machen. Nur zuhören.
Und das, was die andere sagt, hat nur mit ihr zu tun, nicht mit uns.
Es beinhaltet keine Aufforderung an uns.
Keine versteckte Botschaft (ich fühle mich so und so also möchte ich dass du x tust, damit y)
Wir haben keine Verantwortung für das, was die andere teilt. Unsere Verantwortung ist bei uns.
Diese Mischung macht das Bezeugen für die Zeuginnen so wundervoll wertvoll. Wir nehmen Anteil an den Gedanken und dem Erleben der anderen – wie wenn wir einen Blick in ihren Kopf werfen können. Sehen das Funkeln. Und müssen nichts tun. Wir üben das Geschehen lassen und stehen lassen. Wir üben die Wahrnehmung des Selbstkundgabeohr – hören, was die andere über sich selbst erzählt. Üben die andere Person anzuerkennen, unabhängig von ihren Meinungen und Gedanken. Durch diese Art des Zuhörens – eben des Bezeugens – gehen wir eine andere Art der Beziehung ein und eine andere Art der Kommunikation. Wir können die Person besser sehen, denn unser Blick ist weniger verstellt durch unseren Filter und durch unseren Versuch, herauszufinden, was die Person von uns möchte oder wie wir am besten damit umgehen. Das eröffnet innere Freiräume und eine Verbindung neuer Art.
Fallen, in die wir beim Bezeugen tappen können:
- Das Zuhören als irrelevant einzustufen.
Schließlich werden keine Ziele erreicht, nichts aktiv getan. Der Wert liegt im Verlangsamen, im achtsamen Zuhören. Denn das Gesagte hat Wert also hat auch das Zuhören Wert. Genau darum geht es ja im Kern: Um ein wertschätzendes Miteinander für uns alle. - Zu offen sein
Zu sehr das Erleben der anderen zu unserem Eigenen zu machen. Bezeugen beinhaltet zwei Personen mich und die andere. Ich kann also mich nicht aus der Gleichung rausnehmen und ganz in den Emotionen und dem Erleben der Anderen aufgehen. Das ist für keine von uns beiden in diesem Moment wirklich hilfreich. Bezeugen kann ich nur als ich. - Interpretation.
Wir sind es gewohnt, zu versuchen, aus dem Gesagten, Dinge herauszuhören. Was denkt sie über mich – was hat es mit mir zu tun, was soll ich tun und ähnliches. Und genau das hat im Kreis keinen Platz. Im Kreis steht jede Frau für sich. Sie macht keine Aussage über die andere Frau. Die Verbindung besteht in dem Wahrnehmen genau dieser gesunden Begrenzung und des neuen Miteinander. Wenn ich mir, ohne Kreiserfahrung, versuche vorzustellen, wie das ist, dass jede Frau für sich steht, dann fühlt sich das in meiner Vorstellung kalt an, allein. Aber keine Sorge, das ist es nicht. Es ist nur ungewohnt. Es hilft uns, zu verstehen, wo wir sind und wo die andere, wo unsere wirkliche echte Verantwortung liegt und unsere reale weltliche Begrenzung – was uns stark macht und eine neue kribbelnde Art der Verbindung erst ermöglicht.
Wenn ich also im Kreis sitze und das Gehörte (aus Gewohnheit oder Unsicherheit) interpretiere, bin ich nicht am Bezeugen. Ich lege der anderen was in die Äußerung hinein, dass sie nicht gesagt hat. Wenn ich mich dabei ertappe, lasse ich es los. - Bewertung
Auch Bewertung des Gehörten läuft bei uns völlig gewohnheitsmäßig ab – das ist das, was am weitesten verbreitet ist. In welche Richtung die Bewertung geht, wie scharf sie ist, wie viel oder wie wenig, wie sehr wir sie schon reduziert haben, das ist unterschiedlich.
Auch beim bezeugenden Zuhören kann es passieren, dass wir im Hinterkopf eine Bewertung hören. Ich bin mir sehr sicher, dass es im Kreis bei den Frauen weniger oft vorkommt als es im Alltag vorkäme und dass unsere häufigste Reaktion Mitgefühl ist.
Aber es passiert. Und es muss auch kein Problem sein. Einfach wieder mit der Aufmerksamkeit zurück zum Zuhören. Deine Bewertung ist deine Reaktion. Dabei geht es um dich. Wenn du willst, kannst du dich später damit befassen (warum, du darauf anspringst, die Bewertung losgeht), du musst aber nicht. Es ist einfach nur eine Ablenkung, die wir durch erneutes Hinhören in der Regel loswerden können. Kaum der Rede wert (wenn es sich intensiv, bedrohlich, wegspülend anfühlt, dann wurdest getriggert, siehe Trigger-Text), normale Bewertung ist kaum der Rede wert…
Anerkennen und bezeugen – Was ist das Anerkennen dabei?
Wenn also bezeugen darin besteht, dass ich zuhöre und meine Interpretationen, Bewertungen dabei ausstelle – was ist dann das Anerkennen dabei? Anerkennen ist das stehen lassen. Das was die Schwester sagt, ist ihr Erleben und ihre Wahrheit. Manchmal ein Alltagswahrheit, manchmal eine getrübte schmerzende Verletzung, die die Schwester als Wahrheit wahrnimmt, manchmal schillernd und allumfassend. Aber es ist wahr. Es ist ihr Erleben. Es gibt daran nichts zu relativieren.
Es ist real.
Die meisten von uns haben erlebt, dass das eigene Empfinden und Erleben abgewertet werden, ins Unrecht gesetzt werden bzw. schlimmer noch als „eingebildet“ als grundlegend unwahr von außen definiert wurden. Das ist übergriffig und ein Machtspiel und eine Verletzung, die wir fast alle tragen. Es ist auch normaler Bestandteil unserer Alltagskultur. Wir sind uns dieser Verletzung unterschiedlich bewusst und die Verletzungen liegen unterschiedlich offen. Wir springen auf unterschiedliche Dinge dabei an (wie immer).
Deswegen ist es heilend für uns (und für alle), Aussagen stehen zu lassen. Anzuerkennen als für die Person real und relevant.
Das muss nicht heißen, dass es auch für mich wahr und relevant ist. Aber das macht es für die andere nicht weniger real und relevant. Das ist das, was wir alle bräuchten. Dieses nebeneinander stehen lassen können. Das Erleben, dass zwei unterschiedliche Perspektiven nicht zu Gegeneinander und Machtkämpfen führen müssen, sondern friedvoll miteinander sein können, ohne dass das eine dem anderen was weg nimmt.
Und im Kleinen üben wir das im Kreis. Es gelingt uns überall mühelos dort, wo wir im Bezeugen bleiben können. Und jeder dieser Momente ist wertvoll.
Das Anerkennen im Kreis geschieht durch unsere Grundhaltung. Durch das Zuhören ohne Bewertung. Durch das nicht Antworten. Dadurch, dass ich die Realität der anderen höre und bei ihr lasse, ohne sie durch meine Brille, Ratschläge, Begrenzungen oder Sichtweisen damit zu interagieren und innerlich stehen lasse.
Bezeugt werden
Wenn ich bezeugt werde, dann besteht das im Kreis aus zwei Phasen – in der einen Phase, in der ich erzähle und in der zweiten Phase, in der die anderen die Geste machen.
Oftmals hadert die Teilende Schwester damit, was sie an Vorerwartungen hat, wie das geteilte aufgenommen wird. Und dabei ist „oftmals“ eine Untertreibung. Im Kreis geht es auch darum, zu versuchen, sich von dieser Vorerwartung nicht einschränken zu lassen. Das gelingt mal mehr und mal weniger. Mir hilft es, diese Vorerwartung, wenn ich sie spüre (und ich habe vergleichsweise wenige davon), gleich mitauszusprechen und so mir bewusst zu machen und loszulassen.
Du darfst deine Wahrheit teilen, dein Erleben. In vollem Umfang, ganzer Tiefe. Was und wieviel du genau teilst, ist allein deine Entscheidung und du bist frei darin.
Gefühlte Begrenzungen können von innen und aus der Biografie und dem gesellschaftlichen Erleben kommen. Jede von uns hat das schon mal im Kreis gespürt und jede hat es auch schon mal überwunden und danach erlebt, wie es sich anfühlen kann.
Das Empfangen der Geste ist das Symbol des Bezeugt Werdens ist die zweite Phase des Bezeugt Werdens und eine weitere kleine bis große Herausforderung dabei. Unbewusst huschen wir meist darüber hinweg. Denn es ist eine Wertschätzungsgeste, ein Symbol des Gehörtwerdens, ein Symbol des Wichtiggenommen Werdens und die meisten von uns sind soetwas nicht gewöhnt und reagieren mit drüberhuschen.
Was wir auch tun könnten ist: empfangen. Uns bewusst machen, was die Geste bedeutet und bewusst es als Anerkennung empfinden, die Empfindung zulassen. Wenn das aber eine unserer tiefsten Wunden berührt ist das schwer und auch schonmal zu schwer für den jeweiligen Kreis.
Aufgrund unserer Verletzungen kann es eben sein, dass wir Gedanken erleben wie „die andern finden bestimmt doof/falsch/unpassend/abstoßend/zu viel/…, was ich geteilt habe“. Hier hilft nur tief atmen und sich innerlich so gut es geht davon distanzieren – denn auch hier interpretieren wir wieder ein Verhalten der anderen. Vielmehr projizieren wir sogar, denn durch die rituelle verringerte Interaktion im Kreis gibt es kaum Interpretationsmaterial. Auch das passiert. Es ist menschlich. Sagt etwas über unsere Verletzungen aus, darüber wie gut es uns gerade geht, was Heilung bedarf, wie unsere Tagesform ist und ist einfach menschlich.
Hier liegt ein enormes Wachstums- und Heilungspotential, wenn auch wir unsere Sharings einfach stehen lassen können, so wie wir auch die Sharings der anderen stehen lassen. Wenn wir sie nicht nachbewerten und nicht in die Falle tappen, zu denken, irgendetwas an unserem Sharing wäre falsch oder die anderen würden auf eine bestimmte Weise reagieren. Denn die anderen reagieren so wie wir auch: wertschätzend (bis liebevoll), empathisch, wohlwollend, wertungsfrei und offen.
Fallen beim Bezeugt werden:
- Nicht glauben (können) dass es wohlwollend und wertfrei ist (die denken bestimmt, dass…)
- Eine Reaktion /Abwertung projizieren
- Das eigene Sharing innerlich bemäkeln (hättste mal besser nicht… wie konntest du nur)
- Vergleiche aufmachen (die teilt immer xxx und du nur…)
- Wohlwollende liebevolle Reaktion abwerten (die wollen nur nett sein und meinen das gar nicht so..)
Kreiswunder und Menschlichkeit
Das Tolle ist, es funktioniert. Es funktioniert trotz all der Dinge, die schief gehen können, trotz all der Fallen, in die wir immer mal auch tappen. Trotz all der Dinge, die in unserem Kopf so vorgehen. Denn Menschlichkeit ist kein Makel. Kein Zustand, den es zu überwinden gilt. Auch unsere Fehlerchen, Probleme und erlebten Verletzungen machen unsere Menschlichkeit aus – selbst erleuchtet hätten wir etwas davon so lange wie wir hier Menschen sind.
Wir tragen Wunden mit uns herum. Wir sind manchmal müde und unaufmerksam. Manchmal handeln wir nicht so ideal und verständig und liebevoll wie wir es gerne hätten und so liebevoll wie es uns eigentlich entspricht.
Hier ist der Ort, zu lernen und zu erleben, dass es „trotzdem“ wundervoll sein kann, heilend. Dass Kreise funktionieren. Das Miteinander wohltuend sein kann. Bestärkend. Dass es Wertschätzung gibt und ich sie empfangen kann. Dass ich angenommen werde. Dass diese Gemeinschaft von göttlicher Liebe getragen wird und darauf basiert. Dass ich in Ordnung bin und nicht falsch, nicht ungenügend und nicht zu viel. Dass ein anderes Miteinander möglich ist und dass all das real ist auch wenn wir Menschen sind und uns nicht immer hilfreich verhalten oder nicht komplett heil sind. Das ist Teil des Wunder des Kreises.
Und du kannst es selbst spüren, die Freude, das Kribbeln, die tiefe Verbundenheit im Kreis.
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