Gehirn und Hormone

Spannender Artikel mit Buchhinweis dazu, wie weibliche Hormone auf das Hirn wirken – in Bezug auf Alzheimer. Allerdings mit leichter Triggerwarnung denn insgesamt ist der Artikel nicht besonders positiv und ich hab beim Lesen einen Anflug von Angst gemerkt.

Dieser Artikel ist hier temporär


Wechseljahre, schwindende Hormone und das Demenz-Risiko : Frauen entwickeln häufiger Alzheimer, können aber etwas dagegen tun

Quelle: Tagesspiegel.de Abo

Gedächtnisschwund, Depressionen, Migräne: Das weibliche Gehirn erkrankt anders als das männliche. Die Hirnforscherin Lisa Mosconi sucht nach den Ursachen und wie gute Ernährung das Denkorgan gesund halten kann. Von Clara Meyer-Horn

In ihren Höchstleistungen unterscheiden sich die Gehirne von Männern und Frauen nicht, anatomische und physiologische Unterschiede gibt es aber doch. Und sie wirken sich leider auch auf die Entstehung von Krankheiten wie Demenz, Depressionen und Schlaganfällen aus. Dennoch hat die Medizin Frauen wie Männer gleich behandelt.

Die Neurowissenschaftlerin Lisa Mosconi will das ändern. Die Direktorin der Alzheimer’s Prevention Clinic am Weill Cornell Medical College in den USA und Autorin des Buches „Das weibliche Gehirn“ erforscht die Ursachen der Häufung von Alzheimer-Patientinnen und sucht nach Wegen, der Krankheitsentstehung vorzubeugen.

Frau Mosconi, zwei Drittel der Alzheimer Patienten sind Frauen. Woran liegt das? 
Schon seit den 90er Jahren ist bekannt, dass Frauen ein höheres Risiko haben, an Alzheimer zu erkranken, als Männer. Allerdings haben Forscher lange Zeit einfach gesagt: Alzheimer ist eine Alterskrankheit, Frauen werden im Schnitt älter als Männer, deshalb entwickeln mehr Frauen Alzheimer, Punkt – Rätsel gelöst! Es dauerte Jahre, bis genügend Daten gesammelt waren, um diese These in Frage zu stellen.

Tatsächlich leben Frauen in den USA im Schnitt nur vier Jahre länger als Männer – in England sogar nur zwei – und trotzdem ist Alzheimer die Todesursache Nummer Eins für Frauen, aber nicht für Männer. Außerdem ist Alzheimer keine Alterskrankheit. Schon im mittleren Alter verursacht die Krankheit negative Veränderungen im Hirn, es dauert nur eben bis zu 15 Jahre, bis sich erste Symptome zeigen.

Als all dies klar wurde, begannen Wissenschaftler an sich zu fragen, was bei Frauen in der Mitte ihres Lebens passier, bei Männern aber nicht. Was macht sie möglicherweise anfälliger, Alzheimer zu entwickeln? Die Antwort ist: Die Menopause.

Hirnscans zeigten, dass Frauen dazu neigen, in einem jüngeren Alter als Männer Alzheimer-bedingte Veränderungen in ihrem Gehirn zu entwickeln, und zwar meist zeitgleich mit dem Übergang in die Wechseljahre.

Lisa Mosconi ist Neurowissenschaftlerin und Nuklearmedizinerin, hat in Florenz promoviert, leitet die Women’s Brain Initiative und ist Direktorin der Alzheimer’s Prevention Clinic am Weill Cornell Medical College, wo sie als Professorin für Neurologie und Radiologie lehrt. Zudem ist sie Mitglied der psychiatrischen Fakultät an der New York University und Autorin des Buches „Das weibliche Gehirn“.

Wir waren schockiert. Wir sind schließlich Hirnforscher und denken nicht oft an die Eierstöcke als ein Organ, das irgendwie das Hirn beeinflusst. Aber es ergibt schon Sinn. Denn Hormone haben einen großen Einfluss auf unsere Hirnfunktion und beeinflussen die Art und Weise, wie unser Hirn altert.

Durch weitere Untersuchungen fanden wir dann heraus, dass es erstaunlich viele Faktoren gibt, die nur bei Frauen das Risiko erhöhen, Alzheimer zu entwickeln.

Was wären das für Faktoren?
Wir haben mehr als 40 Risiko-Faktoren für Alzheimer untersucht und fast alle erhöhen das Alzheimer-Risiko bei Frauen stärker als bei Männern. Wollen Sie etwas Lustiges hören? Der einzige Faktor, der das Risiko für Männer – und nur für die Männer – erhöht, ist: nicht mit einer Frau verheiratet zu sein. Lebenslang in einer stabilen Beziehung zu sein, schützt Männer also nachweislich vor Demenz. Die Studien haben allerdings bis dato nur traditionelle Familienverhältnisse untersucht – gleichgeschlechtliche Partnerschaften sind noch unerforscht. https://embed.ted.com/talks/lisa_mosconi_how_menopause_affects_the_brain

Aber alles andere: Depressionen, Schilddrüsenerkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sogar schlechte Ernährung, Bewegungsmangel, Mangel an intellektueller Anregung, zu viel Stress…. All diese Faktoren erhöhen das Alzheimer-Risiko bei Frauen mehr als bei Männern.

Wie verändert sich das Gehirn von Frauen, wenn sie sich schlecht ernähren, Stress ausgesetzt sind, zu wenig schlafen, und wie kann das zur Entstehung von Alzheimer beitragen?
Die Forschung, die sich mit Lebensstil bedingtem Alzheimer-Risiko beschäftigt, ist noch sehr jung. Mittlerweile sind die neurophysiologischen Korrelate von bestimmten Aspekten des Lebensstils allerdings der Fokus der Forschung.   

Mein Team und ich haben beispielsweise Frauen, die eine mediterrane Ernährungsweise bevorzugen, sich also nach geltender Auffassung eher gesund ernähren, mit Frauen verglichen, die eine eher „westlich“ geprägte Ernährung pflegen. Über Jahre hinweg haben wir bei ihnen eine Reihe von Gehirnscans durchgeführt. Und wir fanden heraus, dass die Gehirne dieser zwei Gruppen sehr unterschiedlich altern. https://www.youtube.com/embed/gkwci6Sh22Q?rel=0&showinfo=1&hl=de-DE

Die Frauen, die sich eher an die mediterrane Kost hielten, hatten zu Beginn der Untersuchung einen sehr hohen Energiegehalt im Gehirn, der über die Zeit stabil blieb, und sie entwickelten auch kaum Alzheimer-Plaques. Bei Frauen die sich westlich ernährten, fand man das Gegenteil, ihr Energiegehalt im Gehirn war anfangs schon niedrig, und nahm mit der Zeit immer weiter ab. Wir fanden auch heraus, dass die Alzheimer-Plaques während des Übergangs in die Wechseljahre entstehen, und zwar stärker bei den Frauen, die sich schlecht ernähren.

Welche Veränderung in den Wechseljahren erhöht das Alzheimer-Risiko in Frauen so signifikant?
Wenn Frauen in die Wechseljahre kommen, nimmt vor allem die Leistungsfähigkeit des Gehirns ab. Bei manchen Frauen erholt sich das Gehirn nach der Menopause wieder etwas, bei anderen nimmt die Leistungsfähigkeit wiederum immer weiter ab. Bei diesen Frauen hängt diese, von der Menopause verursachte, Veränderung der Hirnenergie mit der Bildung von Alzheimer-Plaques zusammen.

Östrogen agiert als Hauptregulator des weiblichen Gehirns – wie ein Orchesterdirigent

Lisa Mosconi, Hirnforscherin

Die Verringerung des Energiegehalts wirkt sich vor allem auf Bereiche aus wie den Hippocampus, das Gedächtniszentrum des Gehirns. Wenn Östrogen fehlt, wird der Hippocampus nicht richtig aktiviert, was dazu führt, dass man vergesslich wird. Auch die Amygdala, das emotionale Zentrum des Gehirns, ist betroffen.

Die für Östrogen empfindliche Amygdala (türkis) und der Hippocampus (gelb) spielen bei der Gedächtnisbildung eine wichtige Rolle – und auch bei der Entwicklung von Alzheimer.

Wenn Östrogen die Amygdala nicht richtig aktiviert, erleben einige Frauen Stimmungsschwankungen oder Depressionen. Das Gleiche gilt für den Hirnstamm, der für die Regulierung des Schlafes wichtig ist. Zu wenig Östrogen führt in diesem Fall zu Problemen beim Einschlafen oder beim Durchschlafen. All diese Probleme sind wiederum bekannte Risiko-Faktoren von Alzheimer.

Östrogen scheint also extrem wichtig für die Regulierung der Hippocampus-Aktivität und damit auch des Gedächtnisses zu sein?
Ja! Östrogen ist ein so missverstandenes Hormon. Es wurde lang Zeit als Sexual-Hormon abgestempelt, weil es in den Eierstöcken produziert wird, aber es macht so viel mehr. Erst 1992 wurde herausgefunden, dass dieses „Sexual-Hormon“ auch im Gehirn auffindbar ist. Tatsächlich hat Östrogen eine Reihe von Funktionen, die rein gar nichts mit der Fortpflanzung zu tun haben. Es agiert als Hauptregulator des weiblichen Gehirns – wie ein Orchesterdirigent. Die Tagesspiegel-App Alle aktuellen Nachrichten, Hintergründe und Analysen direkt auf Ihr Smartphone. Dazu die Digitale Zeitung.

Östrogen schützt die Neuronen und unterstützt das Gehirnwachstum von Geburt an. Bei Bedarf aktiviert es auch das Immunsystem und vor allem regelt es die Energieversorgung im Gehirn. Östrogen und insbesondere Östradiol, das Hormon, das wir in den Wechseljahren verlieren, beeinflussen die Neuronen.

Im Grunde befehlen sie den Nervenzellen: Arbeitet härter. Östradiol drängt die Neuronen also dazu, mehr Glukose aufzunehmen und schneller zu verbrennen, damit das Gehirn mehr Energie produzieren kann. Wenn also das Östradiol weg ist, weil der Körper es während der Menopause nicht mehr herstellt, sehen wir auf Gehirnscans diesen typischen, starken Energieverlust. Gleichzeitig beginnen die typischen Wechseljahrbeschwerden: Hitzewallungen, nächtliche Schweißausbrüche, aber eben auch geistige Erschöpfung.

Was können Frauen tun, um sich vor der Entwicklung von Alzheimer zu schützen? Und ist das überhaupt möglich, wenn man genetisch veranlagt ist?
Wenn man genetisch veranlagt ist, ist es tatsächlich schwer, die Krankheit zu vermeiden. Genetische Mutationen sind jedoch sehr selten, weniger als zwei Prozent der gesamten Alzheimer-Population ist betroffen.

Für die anderen 98 Prozent hat das Risiko, die Krankheit zu entwickeln, vor allem mit der medizinischen Vorgeschichte, mit Begleiterkrankungen, mit dem Lebensstil und mit der Umgebung zu tun – also Dinge, die wir selbst in der Hand haben und ändern können. Schätzungen zufolge könnte bei etwa der Hälfte aller Alzheimer-Patienten die Krankheit möglicherweise verhindert werden, indem die Risikofaktoren angegangen werden.

Wie zum Beispiel?
Die erste Frage, die sich viele Frauen stellen: Sollte ich zu meinem Arzt gehen und eine Hormonersatztherapie einfordern? Die Antwort ist: Die Hormonersatztherapie hilft bei einigen Symptomen der Wechseljahre wie Osteoporose und Hitzewallungen – aber wir wissen noch nicht, ob so eine Therapie auch Alzheimer vorbeugen kann. Chronisches Erschöpfungssyndrom Wie eine Krankheit meine Freundin verschwinden ließ

Es gibt aber eine Menge anderer Dinge, die der Forschung zufolge wirklich zu helfen scheinen. Dazu gehören eine gesunde Ernährung, Bewegung, Stressabbau, genug Schlaf und regelmäßige Kontrolluntersuchungen beim Arzt, etwa um Stoffwechselstörungen und Schilddrüsenerkrankungen frühzeitig zu erkennen. Auch Umweltgifte wirken sich enorm negativ auf die hormonelle Gesundheit aus und sollten vermieden werden. Wir sind uns gar nicht bewusst, wie vielen Schadstoffen wir täglich ausgesetzt sind.

Gerade jetzt, zu Zeiten der Pandemie, müssen Frauen besonders auf den Stressabbau achten. Es gibt Studien mit Tausenden von Teilnehmern, die zeigen, dass chronischer Stress bereits in der Lebensmitte zu Gedächtnisveränderungen und Gedächtnisverlust führt. Die Hormonproduktion funktioniert nämlich als System.

Wenn der Körper als Reaktion auf ständigen Stress viel Cortisol herstellen muss, stellt er die Produktion von Östrogen ein, da die beiden Hormone aus dem gleichen Vorläufer stammen. Hinzu kommt, dass die Gehirne von Frauen empfindlicher und anfälliger für die Auswirkungen von Stress sind als die von Männern – bei ihnen kann das Gehirn bei andauerndem Stress schrumpfen, und der Hippocampus verkümmern.

Gibt es geschlechtsspezifische Behandlungs- oder präventive Ansätze für Alzheimer?
Wir sind auf dem Weg dorthin, diese endlich zu finden. Die Forschung zu den Geschlechtsunterschieden ist in den letzten zwei Jahren sehr schnell vorangeschritten und die Daten, die wir jetzt haben, verändern bereits die Art und Weise, wie einige Ärzte die Behandlung von Alzheimer angehen.

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Alzheimer vorzubeugen ist allerdings noch einmal etwas Anderes. Es gibt noch nicht viele Kliniken, die sich darauf spezialisiert haben oder sich mit Prävention und Risikominimierung beschäftigen. Aber ich denke, Ärzte werden sich inzwischen mehr und mehr bewusst, dass Männer und Frauen höchstwahrscheinlich auf unterschiedlichen Wegen Demenz entwickeln.

Frauen leiden auch häufiger als Männer an Depressionen, Migräne und Schlaganfällen. Haben diese Krankheiten ähnliche neurobiologische Wurzeln im Gehirn wie Alzheimer?
Klinisch überschneiden sich Depressionen, Angstzustände, Kopfschmerzen, Migränen und Schlaganfälle nicht. Es sind sehr unterschiedliche Erkrankungen. Aber etwas haben sie alle gemeinsam: Sie scheinen durch die Wechseljahre aktiviert oder oft verschlimmert zu werden. Der Zusammenhang ist also höchstwahrscheinlich hormonell. Genau wissen wir es allerdings noch nicht, dazu wir brauchen noch viel mehr Forschung.

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