Von den einsamen Frauen #13

Schlafwandelst du, Bruder? Du sitzt auf dem Dach. Warte, ich bringe dir das Federkleid, und lass auch mich meinen Frack überwerfen. Pass auf, kipple nicht so sorglos auf dem First, wenn du die Flügel anlegst. Noch bist du ein Mensch. Gedulde dich, bis ich meinen Platz aufgesucht habe; du weißt schon, den oben am Fels. Ich schicke dir Jagdschreie herüber, wenn ich so weit bin. Dann stimme mit dem Pfeifen ein, bis das Lied daraus aufsteigt. Die Eule wird es mit ihrem Ruf zerteilen. Hinter unserem Rücken wird sie die Schwingen ausbreiten und Ihr Mark zu unserem machen. Sie wird uns das Genick brechen, damit wir die Welt aus verkehrten Augen sehen. Dann wird sie uns mitreißen im Flug; die grauen Kuppeln ihrer Himmel verleihen uns Schwerkraft, ihr Obsidianmeer ist eine Brücke über die Schluchten in uns. Dann wissen wir wieder, was wir sind: unzähmbar allein. Wir kreischen unser Toben an die Wolkenmauern, es schlägt Blitze. Wenn wir zurückkehren, werden wir lange nur diese Erinnerung haben an uns selbst. Und fall nicht vom First, wenn du aufwachst, Bruder. Noch bist du ein Mensch.

Maria, Dezember 2o22

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