Schwesternwunden: Frauen sind nicht vertrauenswert

Überzeugung und Erfahrung der Schwesternwunde

„Ich kann Frauen nicht vertrauen“ ist ein tief empfundene Überzeugung vieler Frauen – eine Überzeugung, die sich wie ein Naturgesetzt anfühlt – und auch oft so gehandelt wird.

Es ist aber kein Naturgesetz. Im Gegenteil. Aber diese Überzeugung ist nicht einfach so vom Himmel gefallen.

Meist geht sie einher mit vielen Fallbeispielen von Verletzungen, Verrat, Missgunst – gespickt mit allgemeineren „Wahrheiten“. Und für die Frauen, die dies in dem Moment erzählen ist es die blanke Wahrheit. Aber keine allgemeingültige. Und vor allem ist es keine Wahrheit, die nährend, heilend ist und uns weiter bringt, es ist eine, die klein hält, verletzt hält, ausgrenzt, Sicherheitsabstand wahren lässt. Eine, die auf Angst beruht.

Es geht hier aber nicht darum, jemanden zu beschämen, zu sagen es wäre falsch oder sie hätte unrecht. Es geht darum, aufzuzeigen, wie verbreitet diese Annahme ist und was sie mit uns macht und was für Möglichkeiten wir haben, wenn wir uns entscheiden, uns von dieser Grundannahme zu entfernen.

„Wie kann so etwas nicht richtig sein, ich habe es doch erlebt, dass ich Frauen nicht vertrauen kann“

Ich weiß, Schwester, dass du garantiert erlebt hast, dass es Frauen gibt, die sich verletzend verhalten haben, unfair. Vielleicht wurdest du verraten. Du hast wirklich und wahrhaftig mein Mitgefühl dafür.

Das ist tragisch und dir wurde Unrecht getan. Das ziehe ich nicht in Zweifel. Ich ziehe die Konsequenz daraus in Zweifel. Dass man wegen einer Verletzung einer Personengruppe, die der Hälfte der Menschheit entspricht, nicht vertrauen kann.

Der Glaubenssatz

Ich behaupte, dabei handelt es sich um einen sogenannten Glaubenssatz. Die meisten Menschen kennen sehr oft schon den einen oder anderen Glaubenssatz – das sind ja begrenzende erfundene schützende Überzeugungen, die wir uns zugelegt haben, um uns eine Verletzung zu erklären und uns vor weiterem zu schützen, oder weil wir sie so beigebracht bekommen haben. Solange wir sie nicht als Glaubenssätze entlarvt haben, scheinen sie unumstößliche Wahrheiten. Jedesmal. Denn unsere Psyche ist sehr mächtig.

Zurück zu dem konkreten Glaubenssatz. Auch der kommt nicht aus dem Blauen heraus. Manchmal basiert er auf einer speziellen Begebenheit, die wir verallgemeinern. Aber meistens hat er andere Ursachen.

Nämlich die Botschaften, die wir in unserer Kindheit und Jugend empfangen und die in unserer Gesellschaft verankert sind.

Ein echt abstruses aber wahres Beispiel

Ich hole mal etwas aus und konstruiere ein Beispiel. Ich las letztens einen Artikel über ein Land, dessen Namen ich leider vergessen habe, in dem die Menschen der festen Überzeugung sind (Männer wie Frauen) dass Männer immer – in jedem Fall – fremdgehen werden. Dass dies ein unumstößliches Naturgesetzt ist und daraus begründet sich dann (zusammen mit anderen kulturellen und religiösen Faktoren) die Vielehe – bei der ein Mann mehrere Ehefrauen hat. Das ist jetzt nur ein Beispiel, eine Metapher – in der es nicht um die Aussage über eine andere Kultur geht oder darum ob die Journalistin die Kultur richtig wiedergegeben und ich es richtig verstanden habe – sondern darum, ein Beispiel zu wählen, dass weit von unserer Alltagsrealität entfernt ist. Uns kommt es seltsam vor, vielleicht sogar unvorstellbar, anderen als unumstößlich und vice versa. Das dient mir hier als Beispiel dafür, dass Wahrheit auch kulturell definiert ist.

Zurück zum Ausgangspunkt: anderen Frauen nicht zu vertrauen, weil frau von einer Frau verletzt wurde, ist nicht reine Logik. Auch nicht, wenn mich zwei Frauen verletzen. Es ist eine gezogene Schlussfolgerung, kreierte Überzeugung, die von der Gesellschaft und den Menschen um uns herum gestützt wird. (Es gibt viele solcher unhinterfragten Überzeugungen..)

Übrigens liegt sowohl unserem Fall als auch dem Beispiel die gleiche Grundannahme zu Grunde: Frauen sind Konkurrenten und kämpfen gegeneinander. Und das ist eine klassische patriarchale Sichtweise, ja Umdeutung. Wir sollen um den Mann kämpfen. Ich hoffe, das klingt in deinen Ohren so abstrus wie in meinen.

Schutz zu welchem Preis

Auf der persönlichen Ebene soll ja ein Glaubenssatz uns persönlich schützen, wenn wir ihn annehmen. Das funktioniert auch immer ganz gut: wenn ich Frauen nicht vertraue, können sie mich schlechter verletzen – es hat nur einen hohen Preis. Es hält uns gefangen auf einer bestimmten Position. Zum Beispiel der Position, dass wir uns gefühlsmäßig nicht auf andere Frauen einlassen dürfen, dass wir ihnen misstrauen müssen. Und wenn mensch das die meiste Zeit des Lebens so gemacht hat, merkt mensch es nicht mal mehr und sieht auch oft gar nicht, was der Preis ist, was fehlt.

Dieser ganze Webauftritt, das ganze Konzept von Schwesternschaft sendet die Botschaft aus, dass da vielleicht noch etwas sein könnte, etwas Berührendes, Schönes, Hilfreiches Tolles. Und wenn du bis hier gelesen hast, dann bist du nicht immun dafür, dann fragt sich vermutlich irgendwas in dir: Wie geht das, wie kann das sein?

Wie kannst du den Glaubenssatz auflösen und Schwesternschfat erleben?

Der erste Schritt ist bereits getan: Den Glaubenssatz entlarven und in Frage stellen.

Der nächste Schritt ist, im Inneren sich mit den damit zusammenhängenden Bildern zu beschäftigen und Gefühlen, die damit zusammenhängen.

Und im Außen zu erleben, wie eine Gemeinschaft aus Frauen etwas Positives sein kann. Wie es sich anfühlt, wenn frau sich einlässt. Nicht auf der Hut ist und auf Abstand, nicht in Konkurrenz – sondern gemeinsam nebeneinander, füreinander da.

Das Ganze ist ein Prozess. Bei manchen Frauen hilft ein einmaliges Erleben der neuen positiven Realität, dass sich das Alte in Luft auflöst und manchmal geht es vor und zurück, wenn die Verletzung und die Angst sehr groß sind.

Wie kannst du sicher sein?

Aber wie kann man sicher sein, wie kann man das wagen? Sicher sein, kann mensch nie. Immer, wenn ich mich in irgendeine Form von näherer Beziehung gebe (alles, was über ein höfliches Guten Tag hinaus geht), kann ich enttäuscht werden und auch von Lieben kann ich verletzt werden. Das wissen wir alle. Es ist nicht geschlechtsspezifisch. Es ist menschlich. Und ja, es immer eine Herausforderung, sich danach nicht zu verschließen, nicht abzuschotten. Für uns alle.

Letztendlich ändert sich alles, wenn ich nur beschließe, dass meine Grundannahme falsch war, dass ich jetzt annehmen will, dass Frauen nicht gegen mich arbeiten. Und es Zusammenhänge und Situationen gibt, in denen ich Frauen vertrauen kann und dies mein Bestes wollen. Und herausfinde, wie sich das anfühlt.

Denn dann kann sich eine neue Welt öffnen. Frauen erblühen und wachsen, wenn sie in gesunder Beziehung miteinander sind und das kann sich anfühlen wie ein Wunder.

Und hierfür begibt frau sich am besten in einen Frauenkreis. Denn es ist nicht ratsam, diese neue Haltung beliebig irgendwo alleine im Fitnessstudio oder am Arbeitsplatz zu üben und zu schauen, was passiert – es ist sinnvoll, dies in einem geschützten und sicheren Raum auszuprobieren, in dem es die Übereinkunft über Verhaltensregeln gibt und alle dort sind, um Gemeinschaft zu erfahren und wie es sich anfühlt, sich gegenseitig zu bestärken.

Erstveröffentlichung 11.3.2020 in der Schwesternkreisbibliothek, Reveröffentlchung im Mai 2023

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